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Madagaskar: Garten Eden, zwischen Geistern und Dämonen – Teil 1

Von Mario Dieringer

Erfahrungen von einem Urlaub auf der paradiesischen Insel Madagaskar.

„Geh doch wohin der Pfeffer wächst“ bekommt für gewöhnlich zu hören, wer zum Teufel geschickt wird.

„Ob der Teufel auch auf Madagaskar haust?“, fragte ich mich im Flugzeug, als wir bei ungewöhnlich guter Sicht die Komoren überquerten.

Ich nehme es gleich vorweg: Er tut es und wer ihm begegnet, sollte sich vor dem drohenden Unheil in Acht nehmen.

Mit weit aufgerissenem Rachen und heraushängender roter Zunge, schleuderte das mit braun marmorierten Hautlappen übersäte Geschöpf der Nacht, der menschlichen Bedrohung seinen Fluch entgegen.

Um seinen Schrecken noch zu verstärken, starrte seine rot-gelbe Iris aus schlitzförmigen Pupillen den Menschen böse funkelnd an.

„Taha-fisaka“ bedeutet kleiner Teufel.

Es handelt sich, um den legendären und bizarren Madagassischen Blattschwanzgecko, dessen Anblick mich faszinierte, als ich ihm das erste Mal gegenüberstand. Es sollte auch das letzte Mal sein, dass ich dem in der Bevölkerung gefürchteten Tier begegnete, denn eine Woche später, musste ich meinen Aufenthalt unerwartet beenden.

Der Flachschwanzgecko ist eine der vielen Seltenheiten der Insel Madagaskar.

Zu Besuch im sechsten Kontinent der Erde

Es war Mai und die Regenzeit gerade vorüber, als ich den sechsten Kontinent im indischen Ozean besuchte.

Ich freute mich darauf, die viertgrößte Insel der Welt zu erkunden. Mit ihrer von der Außenwelt abgeschotteten Entwicklungsgeschichte, formten sich auf 587.041 Quadratkilometern, außergewöhnliche Landschaften, einzigartige Tierwelten und phantastische Pflanzen.

Tagtäglich finden Forscher unbekannte Lebewesen und versuchen namenlose Pflanzen zu qualifizieren.

Eine Reise nach Madagaskar, bedeutet der Evolution zu begegnen.

Madagaskar ist quasi der Jurassic Park der Neuzeit.

Wer hofft auf Dinosaurier zu treffen wird enttäuscht werden, denn der Schrecken kommt nicht in Echsengestalt, sondern in Form von Dämonen.

Sie sind die Wächter über Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit, Glück und Pech.

Ihre Gesetze sind die Fady, strenge Tabuvorschriften eines abergläubischen und naturverbundenen Volkes. Wer eines bricht, veranstaltet am besten ein Totenwendungsfest oder Famadihana, wie dieses Ritual im Malagassi, der Sprache Madagaskars, genannt wird.

Dabei werden die Ahnen aus den Gräbern geholt, gewaschen und neu gekleidet. Bei Speis und Trank werden ihnen die Neuigkeiten erzählt und ihr Ratschlag erbeten.

Ich hatte keine Ahnen zum Ausgraben und das sollte sich rächen.

Antananarivo – der Ausverkauf am Freitag

Ich kam an einem Freitag an. Für Rucksackreisende ein schwieriger Tag, um die Stadt zu entdecken.

Es war Zoma, der Freitagsmarkt und die Suche nach einer Bleibe aussichtslos, denn Zoma zählt zu den größten Märkten der Welt.

Die ganze Stadt versteckte sich hinter Körben mit Früchten, Säcken mit Kräutern und Ständen mit Haushaltsgegenständen oder Handwerkskunst. Es schien, als ob die gesamten 1,5 Millionen Einwohner Antananarivos gleichzeitig auf den Beinen wären und die restlichen 18 Millionen Madagassen zu Besuch kämen.

Die Stadt war ausverkauft und ich beschloss, den auf 1400 Meter Höhe gelegenen Regierungssitz schnell zu verlassen und mich auf den Weg nach Morondava zu machen.

Idealistisch wie ich war, wollte ich die 700 Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen.

Hätte ich geahnt, dass ich dafür 32 Stunden benötigen würde, hätte ich mir einen inländischen Flugpass gekauft und ein Flugzeug genommen.

Mit insgesamt 200 Landepisten ist das gesamte Land in der Luft, sehr gut zu bereisen.

Doch die Völker Madagaskars lernt man auf dem 50 000 Kilometer umfassenden Straßennetz kennen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass nur zehn Prozent davon asphaltiert ist. Beim Rest handelt es sich um staubige Pisten, die sich während der Regenzeit in schlammige Pfade verwandeln.


 

Von Königsgräbern und Sex

Nur langsam bewegte sich der alte grüne Zug über das marode Schienennetz.

Ich saß auf einer Holzbank und war auf dem Weg nach Antsirabe.

An den Fenstern zogen Reisterrassen vorüber, als wir das Hochplateau allmählich verließen. Über den Bergen klebten dicke graue Regenwolken, die sich nur langsam auflösten.

Es war feucht und kalt.

So hatte ich mir meinen ersten Tag auf der Insel nicht vorgestellt, denn ich fror.

Obwohl es früh am Morgen war, standen schon die Bauern auf ihren Feldern und steckten Reis. Mit ihren großen Strohhüten glichen sie ihren Verwandten in Indonesien. Insgesamt leben 19 Volksgruppen auf der Insel friedlich zusammen.

Ursprünglich von eingewanderten Indonesiern abstammend, mischten sich diese im Laufe der 2000-jährigen Besiedlungsgeschichte mit Indern, Chinesen, Arabern und Afrikanern.

Aber es soll auch diejenigen geben, die schon immer da waren, wie die Übersetzung des Wortes „Vazimba“ lautet.

Ich war überrascht, tief im Dschungel auf Menschen zu treffen, die noch nie einen Weißen gesehen hatten.

Gut, das waren junge Mädchen, die ihr Dorf noch nie verlassen hatten und ich hatte schließlich auch noch nie einen Vazimba gesehen.

Doch die Chance nochmals auf einen zu treffen sind gering. Die Ureinwohner sind fast ausgestorben und es gibt nur noch wenige Familien, die voller Stolz von ihren Ahnen erzählen.

Die Jugendlichen zeigten uns Königsgräber, die mit Rinderhörnern und dem Hausrat der Verstorbenen aufgefüllt waren. Steinerne Figuren bewachten deren Totenruhe.

Das bemalte Mäuerchen eines anderen Grabes, zeigte bunte Bilder mit Szenen aus dem einstigen Leben, das durch ein Krokodil beendet wurde.

Auch sexuelle Szenen waren zu sehen. Eines der Mädchen sagt, dass es eine Ehre wäre, wenn ich Sex mit ihr hätte. Mein Guide grinste bei der Übersetzung und mein Reisepartner wünschte mir lachend Glück.

Ich war überfordert und außerdem hätte ich mich niemals getraut vor versammelter Dorfgemeinschaft ein Mädchen in den Wald zu führen, um meine DNA zu hinterlassen.

War dieses Angebot der Wille eines Ahnen oder eines Dämons? Hatte mein Nein das Mädchen verärgert? Wurde ich verflucht? Ich wusste es nicht und war froh, als wir fort waren.

Der stark schaukelnde nach Antsirabe wurde beim Einlauf in die Bahnhöfe, von lachenden Kindern begleitet, die neben den Gleisen her rannten und uns winkten.

Rod Waddington – Zug Madagaskar

Am Bahnsteig verkauften Händlerinnen ihre Waren durch die offenen Fenster.

Ich kaufte einer alten Frau ein paar Bananen ab. Eine Andere bot mir warmes Fleisch in Pfeffersauce an. Ich begrüßte sie mit „Manao ahoana“, guten Morgen, und nahm eine ordentliche Portion, denn ich hatte Hunger.

Kaum, dass sie mir meinen Campingkochtopf gefüllt hatte, setzte sich der Zug wieder in Bewegung.

Die Menschen, die mir gegenüber saßen grinsten. Es schien sie zu freuen, dass ich einheimische Straßenkost aß.

Ein Mann mit freundlichen Augen und vielen Falten im Gesicht, zeigte mit dem Finger auf das Fleisch. „Zebu Zebu“,  rieft er. Ich war heil froh. Es hätte ja auch Waran sein können.

Hätte ich auch gegessen, aber so früh am Morgen bevorzugte ich Nahrung, die ich kannte.

Das Essen schmeckte sehr gut und sättigte mich über den gesamten Tag. Nach vier Stunden erreichte ich Antsirabe.

Dem Bahnhof sah man seine koloniale Vergangenheit an. Rundbogenfenster, Ziegel und nach vier Seiten hin, flach abfallende Dächer.

Vor dem Bahnhof standen einige Pousse Pousse, Laufrikschas. Kräftige junge Burschen redeten auf mich ein.

Ich verstand kein Wort und fragte nach einem „Taxi Brousse“, dem hier üblichen Sammeltaxi.

Für den kompletten restlichen Tag, die gesamte Nacht und weit über den nächsten Morgen hinaus, verbrachte ich auf einer Holzbank, auf der Ladefläche eines Pritschenwagens.

Ein Taxi-Brousse ist das Fortbewegungsmittel per exzellenz auf Madagaskar.

Eine Plane schützte uns vor immer wieder einsetzendem Regen. Insgesamt achtmal mussten alle zwölf Reisenden aussteigen und das im Schlamm versinkende Taxi aus dem Dreck schieben.

Mein Anfängerfehler ließ die Männer und Frauen laut auflachen. Ich stellte mich genau hinter einen Reifen und wurde von oben bis unten mit roter, schlammiger Erde bespritzt.

Mit meinen Stiefeln im Morast zu stehen, war vollkommen überflüssig und behinderte mich stark. Also zog ich sie aus und ging barfuß, wie alle anderen auch.

Nur so konnte man sich wirklich bewegen. Tief in der Nacht erreichten wir den Fluss Morondava. Hier hatte ein Zyklon gewütet und den Übergang zerstört. Also fuhren wir einen Kilometer Fluss aufwärts, bis zu einer Furt, die wir zu Fuß durchqueren mussten.

Gar nicht so einfach im Dunkeln. Ob es Krokodile gab? Ja die gab es, aber nicht an dieser Stelle.

Das Taxi setzte im Schritttempo über. Danach war das Schlimmste überstanden. Vollkommen übernächtigt kamen wir um 11 Uhr morgens in Morondava an.

Heilkundige Geister und 200 Jahre alte Baobabbäume

 „Wo die Küste lang ist“ oder auch „An den langen Ufern“ lautet die Bedeutung des Namens Morondava, der an dieser Stelle in den Kanal von Mozambique mündet.

Die gleichnamige Hauptstadt des ehemaligen Sakalava-Königreiches, ist heute ein wirtschaftlich wichtiges Zentrum und trotzdem nur eine beschauliche Kleinstadt.

Wie fast überall auf Madagaskar, gab es hier nur wenig Fortschrittliches. Gekocht wurde über offenem Feuer, genäht mit antiquarischen Tretnähmaschinen und der Großteil der Bevölkerung wohnte in kleinen mit Stroh oder Wellblech gedeckten Hütten.

Das Leben spielte sich auf der Straße ab und für die Einheimischen waren Touristen spannende Objekte der Begierde.

Meine Spaziergänge am Strand und durch den Ort, wurden laufend von einem ganzen Tross Kinder begleitet.

Ein Foto zu machen gestaltete sich meist schwierig, denn die kleinen Hüpfer wollten immer mit aufgenommen werden.

Da die Kleinen nichts weiter wollten und offensichtlich Spaß daran hatten mich zu verfolgen, sah ich sie einfach als meine Leibwächter an, die mich fröhlich kreischend bei Laune hielten und selbst mein Bad im warmen und klaren Meer, laut kommentierten.

Ein kleiner Junge schnappte mich eines Tages an der Hand und brachte mich zu seinen Eltern, die mich zu gegrilltem Fisch einluden. Im Gegenzug organisierte ich Bier.

Unser Gespräch erfolgte mit Händen und Füßen, denn mein Französisch war sehr schlecht. Der Vater zeigte mir verschiedene Gegenstände und bald ahnte ich, dass er mir von seinen Ahnen erzählte.

Vasana seine Frau, war eine sogenannte Tromba. Das bedeutete, dass sie von einem heilkundigen Geist besessen war, den man bei Krankheiten anrufen konnte. Eine nützliche und positive Besessenheit.

Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich während der letzten neun Monate auf dem afrikanischen Festland, zwei Mal an Malaria erkrankt war und jetzt immer noch Spritzen bekommen würde.

Unsere sprachlichen Differenzen waren allerdings zu groß, als dass wir uns gegenseitig richtig verstehen konnten. Ich ließ es dabei und forderte den Geist nicht auf, sich ihrer zu bemächtigen, um mich zu heilen. Schließlich war ich ja so gut wie gesund und meine Spritzen sollten mich nur vor einer neuen Infektion schützen.

Doch die meisten Touristen kommen nicht wegen heilender Geister nach Morondava, sondern wegen der ausgesprochen eindrucksvollen Botanik.

Nirgendwo sonst finden sich so viele Affenbrotbäume wie hier. Weltberühmt die Baobabsallee.

Links und rechts der Straße standen die höchsten Baobabs, die ich jemals gesehen habe.

Links und rechts der Straße standen die höchsten Baobabs, die ich jemals gesehen habe.

Fast majestätisch wachten diese Gewächse über den Reisenden, der sich bei Nacht ein wenig bedroht fühlte, wenn sich die Äste, wie dicke Klauen dem Sternenhimmel entgegen reckten.

Auf der Straße nach Belo machte ich eine botanische Seltenheit aus. An der Kreuzung nach Tsirbihina standen die Baobab Amoreaux. Zwei Affenbrotbäume wuchsen verschlungen ineinander und erzählten die traurige Geschichte eines Liebespaares, das sich erst im Tod nahe sein durfte, wie der Taxifahrer mir erläuterte.

Später am Tag schaute ich mir noch die königlichen Gräber, 42 Kilometer von Morondava entfernt an. Die hölzernen Begräbnisstätten wurden durch kunstvoll geschnitzte Stelen geschützt und galten als heilige Orte, die dauerhaft von einem Totenwächter bewacht wurden.

Die Sakalava-Könige sollten für alle Zeiten in Frieden ruhen und ihre Geister durften nicht erzürnt werden.



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